Schwingen für Anfänger – wenn der Hosenlupf zur Königsklasse wird

Wenn man Sport und Nationalstolz in einen Topf wirft, ordentlich umrührt und mit Tradition und einer Prise Skurrilität abschmeckt, kommt in vielen Ländern ein ganz eigenes Gericht dabei heraus. In den USA nennt man es Football – mit Schulterpolstern größer als so manches Ego. In England schwört man auf Football (den mit dem runden Ball, wohlgemerkt), obwohl die Erfinder des Spiels meist schon in der Vorrunde scheitern. Und in Deutschland? Auch Fußball. Zwar nicht erfunden, aber mit heiligem Ernst betrieben. Eine eigene „Heimatsportart“? Vielleicht das Autowaschen am Samstag, aber das ist nicht olympisch.

Und dann gibt’s da die Schweiz. Klein, neutral, traditionsverliebt – und mit einem Sport, der auf den ersten Blick wirkt wie eine Mischung aus Sumo, Ringen und BauernkalenderSchwingen. Oder wie wir Einsteiger sagen: Kampf in der Zwilchhose.

Was ist Schwingen?

Schwingen ist die traditionelle Form des Ringens in der Schweiz. Zwei Männer – in der heutigen Zeit auch Frauen – stellen sich barfuß oder in Turnschuhen in einen Sägemehlring, packen sich gegenseitig an der eigens dafür genähten Zwilenhose, und versuchen, sich gegenseitig auf den Rücken zu befördern. Idealerweise so, dass beide Schultern gleichzeitig das Sägemehl küssen. Dabei gilt: fair bleiben, kräftig sein und freundlich schauen.

Denn so rustikal das Ganze wirkt: Respekt und Anstand sind zentrale Werte im Schwingen. Vor dem Kampf gibt’s den Händedruck, danach wird dem Verlierer das Sägemehl vom Rücken geklopft. Blut, Schweiß und Tränen? Ja – aber ohne Trash Talk.

Wie funktioniert’s?

Ein paar Grundregeln für Dummies:

  • Die Kontrahenten starten aus dem Griff, einer festen Ausgangsposition an der Hose.
  • Ziel ist es, den Gegner mit einem Schwung (ja, das heißt wirklich so) auf den Rücken zu legen.
  • Die Kämpfe dauern in der Regel 5 Minuten, beim Eidgenössischen bis zu 10 Minuten.
  • Ein Kampf ohne Sieger endet unentschieden.
  • Es gibt eine Punktewertung: Je spektakulärer und klarer der Wurf, desto mehr Punkte.
  • Geschwungen wird auf Sägemehl – sieht schöner aus als Kunstrasen und riecht besser als Schweiss.

Ein besonders beliebter Schwung heißt zum Beispiel Wyberhaken – nein, das hat nichts mit einem Holzofen oder mit Frauen zu tun, sondern ist eine technisch anspruchsvolle Innendrehung.

Woher kommt das Ganze?

Schwingen hat seine Wurzeln in der Zentralschweiz, wo schon im 13. Jahrhundert Bauern versuchten, sich gegenseitig zu Boden zu ringen – vermutlich aus Langeweile oder zur Ehre des stärksten Dorfbürgers. Schriftlich erwähnt wird das Schwingen erstmals im 15. Jahrhundert, und mit der Eidgenossenschaft wuchs auch das Bedürfnis, eine einheitliche Tradition daraus zu machen.

Seit dem 19. Jahrhundert ist Schwingen ein nationaler Sport, eng verbunden mit Jodlern, Alphörnern, Älplerchilbi und der Vorstellung, dass Muskeln auch ohne Fitnessstudio wachsen können – mit Käse, Milch und Stallarbeit.

Die Feste des Sägemehls

Schwingen wäre nicht Schweiz, wenn es nicht organisiert, strukturiert und mit viel Käseplättli gefeiert würde. Es gibt rund 120 Schwingfeste pro Jahr, von kleinen Gau-Schwingfesten bis hin zum Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest (ESAF) – das Wimbledon des Sägemehls.

Alle sechs Jahre (seit 2022 alle drei Jahre) treffen sich dort die besten „Bösen“, wie die Top-Schwinger liebevoll genannt werden, in einer Arena mit bis zu 50.000 Zuschauern, um den Schwingerkönig zu küren. Zu gewinnen gibt’s keine Millionen, sondern Ruhm, Ehre und – natürlich – einen Muni (Stier) als Preis. Kein Witz. Und keine kleine Kuh.

Und die Frauen?

Auch wenn das Schwingen traditionell eine Männerdomäne war, hat sich in den letzten Jahrzehnten viel bewegt. Frauen schwingen! Seit 1980 gibt es den Schweizerischen Frauenschwingverband, mittlerweile mit rund 800 lizenzierten Schwingerinnen. Auch hier geht es ordentlich zur Sache – mit derselben Technik, demselben Respekt und wachsender medialer Aufmerksamkeit.

Man darf also hoffen, dass es bald auch eine Schwingerkönigin gibt. Der passende Muni wartet schon.

Schwingen heute – zwischen Tradition und Comeback

Der Schwinger von heute trägt keine Werbung (aus Prinzip), hat aber oft Instagram. Er lebt nicht vom Sport, sondern von der Arbeit als Zimmermann, Bauer oder Polizist. Schwingen ist Amateursport, und selbst die Könige des Sägemehls verdienen ihr Geld meist neben dem Ring.

Trotzdem boomt das Schwingen wie selten zuvor: Zuschauerzahlen steigen, das Fernsehen überträgt, Kinder träumen nicht nur von Ronaldo oder Federer, sondern vom nächsten Wyberhaken im Sägemehlring.

Schwingen ist in seiner altmodischen, ehrlichen Art fast schon radikal modern: Authentisch, regional, respektvoll – und dabei nie verbissen. Wer einmal live dabei war, versteht: Das ist kein Folklore-Theater. Das ist Kraft, Technik und Herzblut im Zwilchformat.

Fazit

Während andere Länder ihre Sporthelden in Stadien bejubeln, hebt der Schweizer seinen Helden im Sägemehl auf die Schultern – wortwörtlich. Schwingen ist mehr als nur ein Heimatgefühl: Es ist ein Stück gelebte Kultur. Vielleicht sogar das ehrlichste, das wir in der Sportwelt haben.

Und wenn man dann am Sonntagmorgen in einem kleinen Dorf dem Klang des Alphorns lauscht, während zwei Burschen im Ring sich an der Hose ziehen, dann weiß man: Das ist Schweiz. Mit Schwung.


(Bilder: generiert mit KI by Randulin)

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