„Prince of Darkness“ – ein Leben zwischen Göttlichkeit und Abgründen

Zum Tod von Ozzy Osbourne

Am 22. Juli 2025 verstummte eine der schrillsten, lautesten und doch menschlichsten Stimmen der Rockgeschichte für immer. Ozzy Osbourne, geboren am 3. Dezember 1948 in Aston, einem Industrievorort von Birmingham, starb im Alter von 76 Jahren im Kreise seiner Familie. Was bleibt, ist das Vermächtnis eines Mannes, der nicht nur Musikgeschichte geschrieben, sondern eine ganze Kultur geprägt hat – mit all ihren Extremen, Widersprüchen und Abgründen.

John Michael „Ozzy“ Osbourne wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Seine Kindheit war geprägt von Armut, Gewalt, einem schwierigen Verhältnis zum Vater und einer tiefen Unsicherheit, die sich früh in einer ausgeprägten Schulphobie und Lernstörung – vermutlich eine nicht diagnostizierte Dyslexie – zeigte. Schule bedeutete für ihn nur Erniedrigung, und so verließ er sie bereits mit fünfzehn. Es folgten Gelegenheitsjobs – unter anderem als Klempnergehilfe und Metzger –, kleine Diebstähle und schließlich eine Haftstrafe, weil er nicht einmal das Bußgeld für eine gestohlene Hose bezahlen konnte. Die Musik, das wird später deutlich, war für ihn nicht nur eine Leidenschaft. Sie war Flucht, Überlebensstrategie und kathartische Explosion zugleich.

Der Wendepunkt kam 1968. Gemeinsam mit Tony Iommi, Geezer Butler und Bill Ward gründete er die Band Black Sabbath, eine Formation, die binnen weniger Jahre ein ganz neues musikalisches Genre definierte: Heavy Metal. Mit Songs wie „Paranoid“, „Iron Man“ oder „War Pigs“ schufen sie einen Klangteppich, der so düster, so roh und so kompromisslos war, dass man ihn nicht mehr als Rock im klassischen Sinne einordnen konnte. Der Sound war schwer, unheilvoll und revolutionär – eine direkte Spiegelung der gesellschaftlichen Ängste jener Zeit, der industriellen Trostlosigkeit der englischen Arbeiterklasse und Ozzys eigenen Dämonen.

Doch mit dem Erfolg kamen auch die Exzesse. Alkohol, Drogen, Depressionen – Ozzy Osbourne war nie nur Rockstar, er war auch ein Grenzgänger. Einer, der mit offenen Augen ins Verderben rannte, dabei lachte, fiel, aufstand, erneut fiel, sich entschuldigte, wieder fiel – und am Ende dennoch auf der Bühne triumphierte. 1979 kam der Bruch mit Black Sabbath, der endgültige Absturz – so schien es zumindest. Die Band warf ihn raus, weil sein Konsum nicht mehr tragbar war. Doch was dann geschah, konnte selbst er kaum glauben: Seine Solokarriere katapultierte ihn in eine ganz neue Sphäre. Das Debütalbum „Blizzard of Ozz“ war ein Triumph – und mit Songs wie „Crazy Train“ und „Mr. Crowley“ bewies er, dass sein Schaffen ohne die Urväter des Metal nicht nur weitergehen konnte, sondern sich vielleicht sogar befreit hatte.

Der Tod seines Gitarristen und Freundes Randy Rhoads im Jahr 1982 riss ein tiefes Loch in seine Seele, das er zeitlebens nicht schließen konnte. Er fiel erneut, trank, konsumierte, lebte im Rausch. Geschichten aus dieser Zeit lesen sich wie groteske Märchen: Da war der berüchtigte Biss in den Kopf einer Taube während einer Plattenfirmenkonferenz. Oder der Moment, in dem er – versehentlich, wie er später sagte – einer Fledermaus auf der Bühne den Kopf abbiss. Der Vorfall mit dem Alamo in Texas, bei dem er im Kleid seiner Frau an ein Denkmal urinierte. Und schließlich der Versuch, seine Ehefrau Sharon zu erdrosseln – ein Albtraum, der nur durch eine Phase tiefer psychischer Dunkelheit zu erklären ist. All diese Momente sind Teil seines Mythos, doch sie sind auch Mahnmale für die Zerstörungskraft einer Krankheit, die er nie wirklich loswurde.

Was Ozzy Osbourne jedoch von vielen anderen Rockstars unterscheidet, war die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis. In Interviews sprach er offen über seine Schuld, seine Fehler, seine Blackouts, die ihn ganze Jahre vergessen ließen. Es war Sharon, die ihn immer wieder auffing, ihn zur Reha brachte, mit ihm gemeinsam ein Imperium aufbaute. Und es war seine Familie, die ihn – trotz aller Brüche – bis zum Schluss begleitete. In der Reality-Serie „The Osbournes“, die Anfang der 2000er Jahre weltweit Millionen Menschen in den Bann zog, zeigte sich Ozzy plötzlich ganz anders: als liebevoll überforderter Familienvater, als zerstreuter Ehemann, als Mensch mit einem Herz – zwischen Hunden, pubertierenden Kindern und leeren Bierdosen.

Abseits des Scheinwerferlichts engagierte sich Ozzy auch für wohltätige Zwecke, finanzierte unter anderem Programme zur Suchtprävention und setzte sich für Veteranen und Obdachlose ein. Weniger bekannt ist sein Hang zur Mystik, zur Esoterik, zur spirituellen Suche. Trotz all seiner Provokationen war er kein Nihilist, sondern ein Fragender – einer, der sich selbst nie als „böse“ sah, sondern als Spielball zwischen Licht und Schatten. In seinen besten Songs spricht er oft nicht als Ankläger, sondern als Rufer in der Dunkelheit.

„Out of everything I’ve lost, I miss my mind the most.“

-Ozzy Osbourne

Seine gesundheitlichen Rückschläge in den letzten zwei Jahrzehnten – ein schwerer Quad-Unfall, eine Parkinson-Diagnose, eine Wirbelsäulenoperation nach der anderen – zwangen ihn, das Tourleben mehrmals zu unterbrechen. Doch selbst im Rollstuhl sang er weiter, nahm Alben auf, veröffentlichte 2022 das gefeierte „Patient Number 9“ und kehrte 2022 für einen letzten Auftritt bei der Commonwealth Games nach Birmingham zurück. Es war eine Art Heimkehr – eine letzte Verneigung vor jener Stadt, in der alles begann.

Was von Ozzy bleibt, ist weit mehr als ein musikalisches Erbe. Es ist das Bild eines Menschen, der scheiterte und dennoch nie aufgab. Eines Mannes, der sich selbst zum Mythos machte – nicht aus Kalkül, sondern weil er gar nicht anders konnte. Der „Prince of Darkness“ war kein Dämon, sondern ein tief verletzlicher Mensch, der sich selbst immer wieder neu erfand. Seine Stimme – mal heiser, mal klagend, mal triumphierend – wird fehlen. Doch sein Vermächtnis lebt in jedem Gitarrenriff, in jedem rebellischen Jugendlichen, der zum ersten Mal Metal hört, in jedem, der sich trotz seiner Dämonen nicht unterkriegen lässt.

Ozzy Osbourne ist tot. Doch die Dunkelheit, die er uns zeigte, war nie nur düster – sie war auch ein Ort der Katharsis. Und vielleicht liegt genau darin seine größte Gabe: uns daran zu erinnern, dass auch im Wahnsinn ein Funken Wahrheit steckt. Und dass selbst die lautesten Schreie am Ende oft nur nach Liebe verlangen.


(Bild: ChatGPT by Randulin)

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