Kein Ständemehr für Bilaterale III

03. Mai 2025

von Nic Niggli

Der Bundesrat hat am vergangenen Mittwoch entschieden: Für das neue EU-Vertragspaket ist kein Ständemehr notwendig – und die Schweizerische Volkspartei (SVP) „täubelet“ jetzt natürlich, was das Zeug hält. Doch sind es gerade eben jene selbsternannte „Volksvertreter“, die politisch stets die demokratischen Grundwerte der Schweiz und politischen Abläufe hochhalten. Nur dann eben nicht mehr, wenn es dieser rechtskonservativen Partei nicht mehr in den Kram passt. Dann steigen eben jene Politikerinnen und Politiker auf die Barrikade und drehen den Spieß um. Nach diesem Entscheid des Bundesrats sehen sie den demokratischen Staat absolut in Gefahr und das Stimmrecht jedes Einzelnen in Gefahr.

Diesem Entscheid des Bundesrats zugrund liegen einerseits eine eingehende juristische Prüfung sowie auch Gespräche mit den Kantonen und den außenpolitischen Kommissionen des Parlaments. Nun könnte man also meinen, die seit einigen Jahren größte Partei des Landes wäre nirgends vertreten?

Doch zurück zum Anfang, alles einmal von vorne…

Das sogenannte Ständemehr ist eine Besonderheit des politischen Systems der Schweiz. Es bedeutet, dass für das Zustandekommen gewisser Volksabstimmungen nicht nur die Mehrheit der Stimmen des Volkes (Volksmehr), sondern auch die Mehrheit der Kantone (Ständemehr) erforderlich ist. Dieses Prinzip hat eine lange historische Entwicklung und ist Ausdruck des föderalen Charakters der Schweiz.

Wer legt fest, ob das Ständemehr notwendig ist?

Entgegen dem Poltern der SVP ist es nicht so, dass der Bundesrat selbst bestimmen kann, ob bei einer Volksabstimmung ein Ständemehr zum tragen kommt. Nein. Ob bei einer Abstimmung das Ständemehr erforderlich ist, wird durch die Bundesverfassung geregelt. Der Bundesrat hat einzig und allein zu prüfen, ob Art. 140 und 142 der Bundesverfassung erfüllt sind – oder eben nicht. Im Kern heißt das:

  • Obligatorische Verfassungsänderungen benötigen Volks- und Ständemehr.
  • Fakultative Referenden (z.B. gegen ein Gesetz des Parlaments) benötigen nur das Volksmehr.
  • Völkerrechtliche Verträge oder der Beitritt zu Organisationen mit kollektiver Sicherheit (z.B. UNO, EU) bedürfen beider Mehrheiten.

Die bilateralen Verträge erfüllen diese Bedingungen nicht, wie das Bundesamt für Justiz bereits vor einem Jahr in einem Gutachten festhielt. So war weder bei den Abstimmungen über die Bilateralen I und II noch bei derjenigen über das Schengener und Dubliner Abkommen ein Ständemehr nötig gewesen.

Wie funktioniert das Ständemehr genau?

Jeder Kanton in der Schweiz zählt eine Stimme. Die sechs Halbkantone (z.B. Basel-Stadt und Basel-Landschaft) zählen jeweils eine halbe Stimme. Ein Kanton gilt als „Ja“, wenn die Mehrheit der dortigen Stimmberechtigten mit „Ja“ stimmt – unabhängig vom Bevölkerungsgewicht. Für das Zustandekommen des Ständemehrs braucht es mindestens 12 von 23 möglichen Standesstimmen (20 Kantone + 6 Halbkantone = 23 Stimmen).

Historischer Hintergrund und Entstehung

Nach dem Sonderbundskrieg (1847) wurde 1848 die moderne Schweizer Bundesverfassung geschaffen. Die Schweiz wurde somit ein Bundesstaat – mit Souveränität der Kantone in vielen Bereichen. Um kleinere und weniger bevölkerungsreiche Kantone zu schützen, wurde das Ständemehr eingeführt. Dies war ein föderaler Ausgleich zwischen Stadt- und Landkantonen bzw. zwischen bevölkerungsreichen und kleinen Kantonen. Mit der Totalrevision der Bundesverfassung im Jahr 1874 wurde das Referendumsrecht eingeführt. Seither unterscheidet man systematisch zwischen fakultativen (nur Volksmehr) und obligatorischen (Volks- und Ständemehr) Abstimmungen.

Zurück zur rechtskonservativen Volkspartei (SVP): diese hat umgehend angekündigt, mittels Referenden Volksabstimmungen herbeizuführen. In einem Communiqué (das hier nachgelesen werden kann) bezeichnet sie den Entscheid des Bundesrats als „vollkommen inakzeptabel“.


(Bildquelle: © randulin, generiert mit KI)