„Brust oder Keule?“

ChatGPT Image 3. Juli 2025 17 37 16

(just another Short Story…)

Ich stehe am Fenster.
Der Sonnenaufgang wirkt wie eine offene Wunde am Himmel.
Blutrot, flackernd, ohne Wärme.
Staub hängt in der Luft, so fein, dass er sich in jede Falte meiner Haut frisst. Der Wind weht nur noch Asche.

Früher war das hier ein Garten.
Mit Beeten, Tulpen, Apfelbäumen.
Jetzt ist da nur noch verbrannte Erde.
Schwarz. Tot. Knisternd manchmal, wenn sich etwas darunter bewegt. Ratten vielleicht. Oder etwas anderes.
Ich habe gelernt, nicht mehr genau hinzusehen.

Der Wasserhahn stöhnt, wenn ich ihn aufdrehe.
Zwei Tropfen.
Drei.
Dann nur noch das krächzende Röcheln der alten Leitungen.
Ich schiebe den Topf beiseite, in dem ein paar aufgequollene Bohnen schwimmen – grünlich, faltig, halb vergoren.
Sie waren ihre Lieblingsbohnen. Damals.
Als es noch Supermärkte gab.

„Was meinst du, Liebling?“
Ich spreche laut, damit ich meine eigene Stimme höre.
„Heute Abend – Brust oder Keule?“
Ich warte. Höre in den Raum hinein.
Und höre sie.
Leise.
Zärtlich.
Die Stimme, die ich in- und auswendig kannte.
Ich weiß, dass sie nicht mehr da ist. Nicht mehr lebt. Nicht mehr atmet.
Und trotzdem spreche ich mit ihr, als hätte sich nichts verändert.

Draußen schreit ein Tier. Oder ein Mensch. Es ist schwer zu sagen.
Die Grenze ist längst verwischt.

Ich denke an früher.
An die Sirenen, die zu oft heulten, bis wir sie nicht mehr hörten.
An die Städte, die brannten, weil das Wasser fehlte und die Menschen sich gegenseitig in den Abgrund traten.
Klimakatastrophe nannten sie es zuerst.
Dann Hunger.
Dann Bürgerkrieg.
Dann gar nichts mehr.

Jetzt nennt es keiner mehr beim Namen.
Weil niemand mehr da ist, um es zu benennen.

Ich brauche mein Messer. Das große. Das mit der geschwungenen Klinge, das so sauber durch alles fährt – auch durch Knochen.
„Wo ist es nur?“ frage ich.
Und sie antwortet.
Natürlich antwortet sie.
„In der Scheune.“

Ich nicke.
Ziehe mir das Leder über die Schultern.
Nicht wegen der Kälte – wegen der Sonne.
Sie frisst die Haut, wenn man zu lange draußen bleibt.

Der Weg zur Scheune ist nicht lang.
Aber ich gehe langsam.
Jeder Schritt knirscht.
Ich sehe Spuren im Sand. Fußspuren vielleicht. Oder Klauen.
Ich ignoriere sie.
Ich ignoriere fast alles inzwischen.

Drei Schlösser.
Eines davon hat keinen Schlüssel mehr.
Ich öffne sie der Reihe nach.
Einatmen.
Ausatmen.
Und hinein.

Es ist kühl hier.
Ruhig.
Nur das Brummen der Fliegen unter dem Dach.
Staub tanzt im Licht.
Und etwas anderes auch: der Geruch.
Metallisch. Schwer.
Wie ein altes Schlachthaus.

Das Messer liegt auf der Theke.
Scharf. Bereit.
Ich nehme es in die Hand.
Spüre das vertraute Gewicht.
Dann drehe ich mich um.

Die Haken sind da.
Drei Stück.
Wie eh und je.
Ich habe sie selbst in den Balken geschlagen.
Fest. Tragend.
Sie mussten halten.

Ich trete zum ersten.
Ziehe die Plane zurück.
Ein Arm hängt herab, schlaff.
An der Hand: ein Ring.
Gold.
Etwas angelaufen, aber noch erkennbar.
„Da bist du ja“, flüstere ich.

Ich streichle über den Arm.
Die Haut ist ledrig, konserviert durch Salz, Rauch und Not.
Ich habe Bücher darüber gelesen. Alte Rezepte. Die Natur lässt uns nicht viel Wahl.
Der Magen will, was der Kopf nicht versteht.

Ich setze das Messer an.
Brust oder Keule?
„Du warst immer die mit den Beinen“, sage ich.
„Kräftig. Immer in Bewegung. Immer tanzen. Weißt du noch?“

Ich schneide.
Langsam.
Sauber.
Ich achte auf feine Scheiben.
Das hilft mir, sie nicht als Mensch zu sehen.
Nur als Fleisch.
Nahrung.
Überleben.

Der Eimer füllt sich.
Noch zwei, drei Schnitte.

Dann hebe ich den Blick.
Zwei weitere Haken.
Zwei kleinere Körper.
Auch verpackt.
Ich weiß, wer sie sind.
Ich habe sie selbst dort aufgehängt.
Nicht aus Hass.
Nicht einmal aus Hunger.

Aus Angst.
Dass ich sie nicht mehr finden würde, wenn ich es nicht täte.
Dass sie mir ganz verloren gehen.

„Ich frage mich, wo die Kinder geblieben sind“, sage ich in die Dunkelheit.
„Seit Jahren kein Laut mehr von ihnen.“
Ich lache.
Es klingt wie Husten.
Oder wie ein Tier, das sich verschluckt.

Ich trete näher.
Ziehe das Tuch ein Stück zurück.
Blonde Locken.
Ein Kettchen.
„Mara“, flüstere ich.
„Mein Vögelchen.“

Neben ihr hängt ihr Bruder.
Ein Schatten.
Ein Sohn.
Ein Fremder.

Ich senke das Messer.

Nicht heute.
Heute nur Keule.

Ich drehe mich um.
Gehe zurück ins Haus.
Der Topf wartet.
Die Sonne steht hoch.
Bald ist Abend.

Und vielleicht, ganz vielleicht,
antwortet sie mir dann.


(Copyright by Randulin / Bild: KI by Randulin)

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