Die Aufarbeitung der NS-Zeit ist eine unendliche Geschichte voller blinder Flecken, Versäumnisse und bewusster Wegschau-Momente – und sie betrifft nicht nur Deutschland. Auch die Schweiz, die sich gerne als neutrale Beobachterin inszeniert, trägt eine Verantwortung, die sie bis heute nur zögerlich annimmt. Ein besonders markantes Beispiel ist der Fall Franz Riedweg. Sein Werdegang ist nicht nur eine biografische Fußnote, sondern ein Lehrstück über das sanfte Abgleiten von NS-Tätern in eine komfortable Nachkriegsrealität, selbst in einem Land, das sich offiziell von den Verbrechen des Dritten Reiches distanzierte.
Wer war Franz Riedweg?
Franz Riedweg, 1907 in Luzern geboren, war ein fanatischer Nationalsozialist, der seine „Karriere“ in Deutschland machte. Bereits in den 1930er-Jahren engagierte er sich aktiv für das NS-Regime und trat 1933 in die SA ein. Später stieg er in der Waffen-SS auf und wurde zu einem engen Vertrauten Heinrich Himmlers. Als Schweizer war er eine Besonderheit – ein überzeugter Nazi, der seine Heimat hinter sich ließ, um in Deutschland für das verbrecherische Regime zu arbeiten. Er war kein Mitläufer, sondern ein ideologisch gefestigter Akteur, der direkt an der Planung und Umsetzung der deutschen Kriegsstrategie beteiligt war.
Die Nachkriegszeit: Kein Interesse an Gerechtigkeit
Nach 1945 hätte man annehmen können, dass jemand wie Riedweg zur Rechenschaft gezogen würde. Doch das Gegenteil war der Fall. Während viele Deutsche in Entnazifizierungsverfahren verwickelt waren – wenn auch oft mit milden Konsequenzen -, fand Riedweg erstaunlich schnell wieder Anschluss. Er wurde 1946 in Österreich verhaftet, jedoch nicht an die Sowjets ausgeliefert, die ihn für Kriegsverbrechen verantwortlich machten. Stattdessen schob man ihn nach Deutschland ab, wo er letztlich unbehelligt blieb. Seine enge Verbindung zu NS-Größen wie Himmler schien keine juristischen Folgen zu haben.
Die Rolle der Schweiz
Besonders brisant ist die Rolle der Schweiz in diesem Fall. Obwohl Franz Riedweg offiziell ausgebürgert wurde, gab es in der Nachkriegszeit keine ernsthaften Bemühungen, ihn für seine Verbrechnen zur Verantwortung zu ziehen. Man wusste, wer er war und was er getan hatte, doch es gab schlicht kein Interesse, sich mit dieser dunklen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Diese Gleichgültigkeit gegenüber NS-Verbrechern ist kein Einzelfall – sie zieht sich durch viele Kapitel der Schweizer Geschichte.
Ein Systemversagen mit System
Der Fall Riedweg zeigt, dass die sogenannte „Entnazifizierung“ nicht nur in Deutschland unzureichend war, sondern dass auch andere Länder wenig Interesse daran hatten, ehemalige NS-Kader zur Rechenschaft zu ziehen. Die Schweiz hat sich in vielen Fällen darauf beschränkt, die eigene weiße Weste zu bewahren, während sie stillschweigend wegsah. Es gab keine Prozesse, keine öffentliche Aufarbeitung, keine Gerechtigkeit für die Opfer. Stattdessen wurde das Kapitel möglichst rasch geschlossen, um sich nicht mit unangenehmen Fragen zu belasten.
Das Bundesstrafgericht in Luzern verurteilte Riedweg 1947 in Abwesenheit zu 16 Jahren Zuchthaus wegen „Angriffs auf die Unabhängigkeit der Schweiz und wegen Vorschubleistens zu fremdem Kriegsdienst“. Riedweg trat die Strafe jedoch nie an. Er verweilte weiter in seiner Wahlheimat Deutschland, und die Schweizer Behörde verzichtete auf ein Auslieferungsgesuch.
Nach 1945 praktizierte Riedweg bis zu seinem Tod im Jahr 2005 als Arzt in München…
…und Riedweg war nicht der einzige: Rund 2000 Schweizer Freiwillige dienten in der Waffen-SS. Wie viele von ihnen wurden je zur Rechenschaft gezogen?
(Quelle: u.a. ethz.ch)
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