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Die schleichende Normalisierung des Unvorstellbaren

Am Mittwoch (29.01.) ereigneten sich im Deutschen Bundestag zwei aufeinanderfolgende Geschehnisse, die in ihrer Gegensätzlichkeit kaum zu überbieten sind. Zunächst gedachte man der Opfer des Nationalsozialismus, wobei der ukrainische Holocaust-Überlebende Roman Schwarzman vor Regierung, Parlamentariern und Gästen sprach. Nur wenige Stunden Später triumphierte die extrem rechte #NoAfD, eine Partei, die die Verbrechen der Naziherrschaft als „Fliegenschiss“ der Geschichte abtut. Bernd Baumann, ein Vertreter dieser Partei, verkündete selbstbewusst: „Das ist wahrlich ein historischer Moment. Jetzt und hier beginnt eine neue Epoche, und die führen wir an.“

Was war geschehen?

Die Union und die FDP haben, ermöglicht durch die Enthaltungen des Bündnisses Sahra Wagenknecht, erstmals bewusst mit den Stimmen der #NoAfD eine Mehrheit erzielt, um ein emigrationspolitisches Papier durchzubringen. Ein Vorgang, den Friedrich Merz, der Kanzlerkandidat der Union, vor kurzem noch kategorisch ausgeschlossen hatte.

Der beschlossene „Fünf-Punkte-Plan“ fordert unter anderem die Zurückweisung von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen und stellt sich damit gegen eine Grundidee des Asylrechts, dessen Verankerung im Grundgesetz einst eine Lehre aus dem Holocaust war.

Dieser Vorgang markiert ein Tabubruch, eine weitere Erosion der ohnehin brüchigen „Brandmauer“ zwischen demokratischen Parteien und der extremen Rechten. Doch diese Brandmauer war längst mehr als Fassade als Bollwerk. Seit Jahren tragen verschiedene Akteure zur schleichenden Normalisierung der #NoAfD bei.

Anfang Januar 2025 erklärte Merz in der ARD noch: Die #NoAfD sei ausländerfeindlich, antisemitisch und habe Rechtsradikale in ihren Reihen. Bei einer Zusammenarbeit mit der #NoAfD würde die CDU ihre Seele verkaufen. Auf Nachfrage, ob er denn sein Versprechen halten könne: „Ja, ich halte das. Ich knüpfe mein Schicksal als Parteivorsitzender der CDU an diese Antwort.“

Es ist eine unbequeme Wahrheit, dass die Etablierung der #NoAfD, ihrer Rhetorik und ihres Programms nicht plötzlich und nicht allein auf das Konto von Friedrich Merz geht. Alle Parteien – mit Ausnahme der Linkspartei – haben in den vergangenen Jahren zunehmend migrationsfeindliche Töne angeschlagen und Ängste geschürt, anstatt die tatsächlichen sozialen Probleme, wie den Mangel an bezahlbarem Wohnraum, anzugehen. Der sozialdemokratische Kanzler Olaf Scholz kündigte im Herbst 2023 „Abschiebungen im großen Stil“ an, Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck erklärte kürzlich, Syrerinnen und Syrer, die nicht arbeiten, müssten Deutschland verlassen; die rot-grün-gelbe Ampelregierung hat in den letzten drei Jahren mehrfach Asylrechtsverschärfungen durchgesetzt.

All diese Entwicklungen haben dazu beigetragen, auch in Deutschland eine Stimmung des Notstands zu erzeugen, in der Friedrich Merz überhaupt erst glauben konnte, es würde sich lohnen, einen Doppelmord in Aschaffenburg schamlos zu Wahlkampfzwecken zu instrumentalisieren – und dabei nicht nur sein Wort, sondern auch ein parlamentarisches Tabu zu brechen.

Es ist an der Zeit, aufzuwachen und sich der schleichenden Normalisierung des Unvorstellbaren entgegenzustellen. Die Geschichte hat doch uns gelehrt, wohin das Wegsehen und die schrittweise Akzeptanz extremistischer Positionen führen können. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Grundwerte unserer Gesellschaft weiter erodieren. Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, die Demokratie zu schützen und den Anfängen zu wehren.

..und Morgen kommt das Gesetz!

Obwohl dieser Antrag, über den am Mittwoch abgestimmt wurde, rechtlich nicht bindend ist und voraussichtlich vom Bundesrat blockiert wird, markiert er doch einen Dammbruch, nicht nur symbolisch gemeint.

Der Blick voraus auf Freitag (31.01.) ist zappenduster: Die Union plant, das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz (was für ein Wort! Einmal mehr…) einzubringen, das unter anderem den Familiennachzug für Personen mit subsidiärem Schutz untersagt. Tatsächlich besteht die Möglichkeit, dass dieses Gesetz mit den Stimmen von Union, FDP, #NoAfD und dem Bündnis Wagenknecht verabschiedet wird. Sollte dies geschehen, wäre es das erste Mal, dass ein Gesetz mit ausschlaggebender Unterstützung der #NoAfD beschlossen wird.

Eines steht jedoch fest: Man kann von „Mutti“ (Merkel) halten was man will. Aber unter „Mutti“, ja selbst unter Kohl oder Strauß, hätte es den gestrigen Tag nie gegeben.

Die Seele der Union wurde am 29. Januar 2025 verkauft. Herr Merz, nehmen Sie sich beim Wort und treten Sie zurück – auch als Kanzlerkandidat!

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